Mit „Drova – Forsaken Kin“ ist den sechs deutschen Indie-Entwicklern ein kleiner Hit gelungen. An diesem Punkt habt ihr mit Sicherheit schon von den Lobpreisungen seitens der Fachkritiker, wie auch von zahlreichen Spielern gehört oder gelesen und wenn nicht, dann macht euch auf eine weitere Lobpreisung gefasst. In diesem Test verrate ich euch, wie Drova es schafft die Herzen der Rollenspiel-Fans höher schlagen zu lassen.
Eine zauberhafte Welt
„Drova – Forsaken Kin“ entführt die Spieler in eine fantasievolle Zauberwelt, die von der keltischen Mythologie inspiriert wurde. Wir schlüpfen in die Rolle eines Helden oder einer Heldin, die ihr zuvor in einem rudimentären Charakter-Editor zusammen gebastelt habt. Eines Nachts folgt der Charakter des Spielers zwei Magiern seines Dorfes tief in den Wald, die versuchen einen Übergang in das verheißene Land Drova zu finden.
Hals über Kopf wird man in die Magie hineingezogen und muss plötzlich ums Überleben kämpfen. Während ein Zauberer bereits beim Wirken des Zaubers tödlich verletzt wird, greifen uns plötzlich Wesen aus einem dichten Nebel an. Nur mit knapper Not entkommen wir den scharfen Klauen der Monster, doch auch unsere Begleiterin findet den Tod. Doch wir haben es geschafft, wir sind in Drova angekommen. Bevor sie ihren letzten Atemzug aushaucht, übergibt sie uns eine magische Rune und erteilt uns den Auftrag die Druiden von Nemeton aufzusuchen. So beginnt unsere unerbittliche Reise in einem schroffen und tödlichen Paradies.
Unverkennbare Gemeinsamkeiten
Die Entwickler von „Drova – Forsaken Kin“ geben offen zu, sich von Spielen wie Gothic, The Elder Scrolls: Morrowind oder auch Baldur’s Gate 2 inspirieren lassen zu haben. Tatsächlich steckt in Drova sehr viel DNA von Gothic und Gothic 2. Ich könnte euch jetzt alle Gemeinsamkeiten aufzählen, aber ich denke, das würde den Rahmen dieses Testberichts sprengen. Deshalb gehe ich in meinem Test nur auf die meiner Meinung nach wichtigsten ein.
Auf den ersten Blick ist nur schwer eine Gemeinsamkeit zwischen Drova und Gothic zu finden, denn während Gothic ein 3D-Abenteuer aus der Third-Person-Ansicht bietet, versucht Drova durch eine detaillierte 2D-Pixelwelt aus der isometrischen Perspektive zu verzaubern. Und genau diese Optik ließ mich zunächst zögern das Spiel überhaupt spielen zu wollen, denn obwohl ich mit Spielen in Pixel-Optik aufgewachsen bin, kann ich ihnen heutzutage kaum etwas abgewinnen. Doch ohne Witz Leute, diese banale Einstellung hätte mich beinahe eines der besten Rollenspiele 2024 verpassen lassen.
Die Philosophie den Spielern eine authentische Old-School-RPG-Erfahrung bieten zu wollen, in der die Gegner nicht mit dem Level des Spielers skalieren, ist wohl die wichtigste Essenz eines alten Rollenspiels. Zudem müssen Spieler aufmerksam die Dialoge lesen und ihre Umgebung studieren, um sich in der Welt zurechtfinden zu können. Es existiert weder ein Questmarker, der euch zu eurem Ziel führt oder interessante Orte anzeigt, noch eine Karte, die euch dabei helfen könnte sich in der Welt zurechtzufinden. Eine grobe Karte kann man sich bei einem Händler kaufen. Die einzige Hilfestellung stellt hier das Tagebuch dar, in welchem wir unsere Aufgaben in Kurzform erneut durchlesen können.
Diese Aspekte allein erinnern schon stark an Gothic, doch Drova hat noch mehr zu bieten. Gothic ohne ruppige Sprache? Undenkbar! Bei vielen ist sie auch als „Ruhrpottschnauze“ bekannt. Genau diese Sprache wird 1:1 auch in Drova geboten. Endlich drohen die Räuber und Banditen meinem Helden „volles Pfund aufs Maul“ geben zu wollen, wenn wir nicht schnellstmöglich mit der Kohle herausrücken und wir haben sogar die Option in einem genauso schroffen Ton zurück zu antworten.
Ach, habe ich die Zeit vermisst, wo ich ein Abenteuer als völliger Lauch beginne und den Räubern bereits nach wenigen Stunden nur mit einem rostigen Schwert in der Hand und fehlender Rüstung großspurig die Packung ihres Lebens verspreche. Ich lande zwar nur wenige Sekunden später im Dreck und muss dabei wehrlos zusehen, wie sie den bewusstlosen Körper meines Helden ausrauben, doch allein diese fiese Welt zaubert mir ein nostalgisches Lächeln ins Gesicht. Es fühlt sich an, als hätte ich einen verloren geglaubten Freund wiedergefunden. Schade, dass Drova nicht auch noch einen Gnadenstoß anbietet. Damit konnte man in Gothic bewusstlosen Gegnern endgültig den gar aus machen.
Level mal woanders
Auch in den Fraktionen, im Questdesign und im Fortschrittssystem gibt es einige Gemeinsamkeiten. In der Welt von Drova gibt es zwei verfeindete Fraktionen, mit denen wir uns im Verlauf des Abenteuers verbünden können. Als erstes wäre da das Ruinenlager, wo das Recht des Stärkeren gilt. Das wird gerne mal in der Arena unter Beweis gestellt. Wenn wir uns ihnen anschließen wollen, müssen wir erst einmal kleinere Brötchen backen und uns in der Mine als Schürfer beweisen.
Zum anderen gibt es die Stadt Nemeton, der wir uns anschließen können. Hier herrschen vorwiegend Druiden und starke Krieger, die sie mit Runenmagie beschützen. Wem wir uns anschließen obliegt uns, doch sobald wir uns für eine Seite entschieden haben, bleiben uns viele Quests der anderen Fraktion verwehrt. Das sorgt für einen enormen Widerspielwert. Außerdem verändert sich die Spielwelt im Laufe des Abenteuers, je nachdem, welche Entscheidungen wir treffen.
Die Quests wiederum bieten uns meistens viele Optionen. Zum Beispiel wird uns der Weg nach Nemeton verwehrt. Hier können wir versuchen, uns durch andere Quests das Vertrauen der Stadt zu verdienen, oder wir bestechen eine Wache, oder wir erledigen eine Quest für einen Händler, der uns in seinem Wagen in die Stadt schmuggelt. Für zahlreiche Quests existieren mehrere Lösungswege, die auch stark von der Neugier und der Erkundungsbereitschaft des Spielers abhängen.
Besonders cool und hilfreich ist hier der Entdecker-Modus. Per Knopfdruck auf den rechten Stick (R3) aktivieren wir eine Art Detektiv-Blick, der uns versteckte Objekte, wie eine verbuddelte Kiste, lose Steine, Fußabdrücke, Schriften und noch vieles mehr entdecken lässt. Wer aufmerksam spielt, kommt schnell an mächtige Belohnungen.
Doch die wohl größte Gemeinsamkeit zur Gothic-Serie bietet hier das Fortschrittssystem. Leveln wir auf, dann erhalten wir vier Fähigkeitspunkte, die wir erst verteilen können, wenn wir einen Lehrmeister gefunden haben. Dabei bietet jeder Lehrmeister nur seine Spezialität an. Bei einem Jäger können wir zum Beispiel das Bogenschießen erlernen oder wie man Tiere ausweidet und ihnen das Fell abzieht. Zudem kann er uns zusätzlich anbieten unsere Punkte in Geschick zu stecken, womit wir unsere Chance auf kritische Treffer erhöhen. Bei einem anderen Lehrmeister verbessern wir unsere Schwert-, Axt-, Dolch- oder Speerkünste und erhöhen unsere Stärke. Da jede Technik nicht unter zwei Fähigkeitspunkte zu erlernen ist, müssen wir uns im Besten Fall vorher Gedanken zu unserem Spielstil machen, um uns nicht zu verskillen.
Dadurch wird das Kampfsystem vielseitiger und taktisch anspruchsvoller. Wir müssen unsere Fokusleiste auffüllen, um die Techniken auszuführen. Das passiert automatisch, wenn wir erfolgreiche Treffer landen. Aber aufgepasst: Stecken wir Treffer ein, kann es schnell passieren, dass unsere Fokusleiste sinkt. Je nach Fähigkeit müssen wir unterschiedlich viele Fokuspunkte opfern. Der Basiswert „Geist“ erlaubt es uns, die Fokusleiste permanent um einige Punkte zu erhöhen, sodass wir schneller und öfter unsere Fähigkeiten oder Zauber einsetzen können. Einige Zauber können auch durch Spruchrollen ausgeführt werden, was den Fokuspunktverbrauch auf ein Minimum reduziert. Allerdings ist die Schriftrolle nach dem Gebrauch weg.
Der Einstieg ist nicht ganz einfach, weil man hier von Anfang an gefordert wird. Aber das Rollenspiel hat alles, was das Herz begehrt. Es lohnt sich, die Welt zu erkunden, denn es gibt viel zu entdecken: spannende Geschichten, Ruinen, Höhlen, Crafting, Tränke brauen, Schmieden, Kochen und vieles mehr. Es ist ein bisschen schade, dass man bei der Erkundung nur neue Waffen findet, aber keine neuen Rüstungen. Die muss man sich mühsam verdienen, wenn man einer Fraktion beitritt. Die Anerkennung der Fraktion wirkt sich direkt auf die Qualität der Rüstung aus. Neben der Rüstung können auch Ringe, Amulette oder Trophäen getragen werden, die alle einen kleinen Bonus auf Statuswerte oder Ähnliches verpassen. Helme sind leider ausgenommen, da sie nur einen kosmetischen Charakter haben.
Die PlayStation 5 liefert eine erstklassige technische Performance. Bei der automatischen Speicherung kommt es zwar zu kurzen Freezes, dies ist jedoch kein Grund zur Beanstandung. Auch das Kampfsystem ist noch nicht optimal auf den Controller abgestimmt. Eine Auto-Aim-Funktion, die vor allem den Fernkampf stark erleichtern würde, fehlt hier. Im Nahkampf trifft die Figur ihre Gegner nahezu immer automatisch. Mit dem rechten Stick muss man nur in seltenen Fällen nachjustieren.
Auch die automatische Auswahl an Interaktionsobjekten, ist nicht immer optimal. So wollte ich eigentlich mit einem Händler reden, doch das Spiel visierte kurzerhand einen Gegenstand auf der Theke an. Anstatt also mit dem Händler zu reden, steckte ich den Gegenstand ein. Da Diebe nirgends gern gesehen werden, brauche ich euch nicht zu erzählen, dass gefühlt die halbe Siedlung ihren Hass darüber mit Schwertern, Äxten und Speeren zeigte.
Fazit
Seit Gothic 2 sehne ich mich nach einem ähnlichen Abenteuer, doch was das ehemalige deutsche Studio Piranha Bytes auf dem Weg zum nächsten großen Gothic verloren hat, sammelten die sechs Entwickler von Just2D auf und verwirklichten das bezaubernde Drova- Forsaken Kin. Das Spiel hat so viele Ähnlichkeiten zu den ersten beiden Gothic-Ablegern, dass ich hier schon fast an ein Demake denken musste. Doch das wird dem Spiel nicht gerecht, denn trotz der vielen Gemeinsamkeiten schaffen es die Entwickler Drova ihren eigenen Stempel aufzudrücken.
Hier bekommt ihr ein richtiges Rollenspiel, bei dem ihr als Lappen startet, der kaum einer Mücke gefährlich werden kann, und als kampferprobter Krieger gegen Ende sogar Göttern den Garaus macht. Wer auf Hilfestellungen verzichten kann, wird dieses Spiel lieben. Es ist spannend, vielschichtig und erinnert an längst verloren geglaubte Tugenden. Ich vergebe:
8.5 von 10 Punkte.