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Night Call im Test – Schlaflos auf Serienkiller-Jagd

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„Night Call“ ist einer dieser Titel, der sich mit einem interessanten Trailer präsentiert und kurz darauf in Vergessenheit gerät. Zumindest erging es mir so. Ich konnte mit dem Spielenamen absolut nichts anfangen, denn es wollte mir nicht einfallen, worum es sich bei „Night Call“ eigentlich handelt. Als ich jedoch den E3 2018 Trailer erneut zu Gesicht bekam, fiel der Groschen. Stimmt, da war doch dieses Indie-Projekt im Noir-Stil, welches euch als Taxi Fahrer in Paris einen Serienkiller jagen lässt. Laut den Entwicklern Monkey Moon und Black Muffin sollen wir Spieler auf mehr als 70 einzigartige Charaktere treffen können, die ihre ganz persönlichen Geschichten zu erzählen haben. Während der kurzen Taxi-Fahrt zum nächsten Bestimmungsort tauchen wir für einen kurzen Augenblick in ihr Leben ein. Wie Tief wir jedoch in die Seelen der Fahrgäste Einblicken dürfen hängt vom Spieler selbst ab, da der Gesprächsverlauf individuell mit Dialogoptionen gelenkt werden kann. Neben den zahlreichen kleinen Geschichten, sollen wir Spieler auch eine spannende Jagd nach einem Serienkiller erleben dürfen. Ich habe mich ins Taxi gesetzt, bin durch das verregnete Paris gefahren, habe zahlreiche Fahrgäste aufgelesen und verrate euch in diesem Test, ob es auch Spaß gemacht hat. Damit auch der Groschen bei euch fällt, hier der erwähnte Trailer von der E3 2018:

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https://youtu.be/OqDKtO_LOKY

„Ein mysteriöser Serienkiller streift durch die Straßen des heutigen Paris. Er tötet ein Opfer nach dem nächsten, und die Polizei schafft es nicht, ihm auf die Spur zu kommen. Du bist ein Taxifahrer und hast einen der letzten Angriffe des Killers nur haarscharf überlebt. Jetzt bleiben dir noch sieben Nächte, um ihn zu finden, denn sonst erklärt die Polizei dich zum Schuldigen. Deine nächsten Schichten werden also alles andere als gewöhnlich und ereignislos sein …“

Ein ungewöhnlicher Detektiv

In „Night Call“ schlüpfen wir nicht in die Haut eines glorreichen Detektives oder versierten Polizisten oder gar einen Helden. Stattdessen sind wir ein stink normaler Taxi Fahrer mit einer turbulenten Vergangenheit, die ihn zum Verdächtigen in einem Serienmord werden lässt. In einem schönen handgezeichneten Film-Noir-Stil erleben wir die Geschichte oder besser gesagt Geschichten von „Night Call“. Hier steht nicht der Hauptprotagonist im Mittelpunkt, sondern definitiv die unzähligen Fahrgäste. Jeder Fahrgast hat seine ganz persönliche Geschichte zu erzählen. Dabei reicht die Palette von witzig bis traurig und ab und zu schon mal skurril. Ich war erstaunt zu sehen, wie es die Entwickler schafften jede noch so unwichtig erscheinende Person interessant zu integrieren. Obwohl die Gespräche meistens nur von kurzer Dauer sind, transportieren die Charaktere extrem viel Persönlichkeit rüber. Jeder Charakter wird dadurch authentisch und bei dem ein oder anderen hoffte ich des Öfteren auf ein weidersehen.

Von der Mordermittlerin Busset bekommen wir vertrauliche Ermittlungsakten zugesteckt und erfahren von fünf weiteren Verdächtigen. Einer der fünf ist definitiv der gesuchte Mörder. Nacht für Nacht sammeln wir immer mehr Hinweise und am Ende einer Schicht begutachten wir die gesammelten Hinweise auf einer Tafel. Wirklich tiefgreifend ist diese Spielmechanik jedoch nicht, da alle Hinweise direkt dem jeweiligen Tatverdächtigen zugeordnet wird, sodass wir nicht groß ins Grübeln kommen. Man merkt sehr schnell, dass den Entwicklern die vielen Geschichten und die dichte Atmosphäre deutlich mehr am Herzen lag als die spielerische Freiheit der Spieler.

Wie ein Klick auf Google Maps

Spielerisch reiht sich „Night Call“ zwischen einem Visual Novel und einem Wirtschaftsmanager ein. Jede Nacht starten wir auf einer Stadtkarte von Paris. Ähnlich wie auf Google Maps, symbolisiert ein Gelbes Dreieck unsere Position. Um uns herum können wir Tankstellen ansteuern, expliziten Hinweisen nachgehen, die mit einem Augen-Symbol in Erscheinung treten oder Fahrgäste auflesen, die entweder als Fragezeichen oder Portraits auf der Karte erscheinen. Sobald ein Fahrgast einsteigt, wird der Bildschirm auf der horizontalen Ebene geteilt. Oben sehen wir die Karte und unten die Fahrzeugkabine mit dem Fahrgast in der Mitte und dem Fahrer rechts außen. Auf diese Weise wird eine direkte Nähe zu den Charakteren hergestellt.

Welchen Fahrgast wir auflesen bleibt völlig uns überlassen. Steuern wir einen Fahrgast an, dann taucht ein kleines Fenster auf, welches uns eine kurze Information zum Bestimmungsort und den Fahrkosten aufzeigt. Hier können wir den Fahrgast abweisen oder akzeptieren. Immerhin müssen wir Geld verdienen und kurze Fahrten, die nur 3 Euro einbringen, könnten uns am Ende der Nacht Schulden einbringen. Das Taxi Unternehmen rechnet nach jeder Nacht mit uns ab. Es werden Kosten für die Reinigung des Autos abgezogen, der Benzintank wird wieder aufgefüllt und so weiter uns sofort. Schade nur, dass die Tankanzeige trotzdem auf dem Stand der letzten Nacht bleibt und wir das Tanken selbst übernehmen müssen. Da kann es ganz schön schnell eng mit dem Geld werden, vor allem, wenn man 250 Euro für Hinweise hingelegt hat und ein Fahrgast in den seltensten Fällen mehr als 30 Euro springen lässt. So muss man zumindest auf den Schwierigkeitsstufen Normal und Hard gut Wirtschaften, um am Ende nicht gefeuert zu werden.

Insgesamt können wir uns für einen von drei Schwierigkeitsstufen entscheiden. Auf der leichtesten Stufe wird die Story in den Vordergrund gerückt und wir können uns fast schon entspannt auf die Suche nach dem Mörder begeben. Die Nächte sind länger und der Geldbeutel somit leichter zu füllen, da wir mehr Fahrgäste transportieren können. Auf Normal wird es schon stressiger und auf Hard bleiben euch kaum noch Gelegenheiten an Hinweise zu kommen. An Hinweise kommen wir, wie bereits erwähnt, durch explizite Ortschaften, aber wir können uns auch eine aktuelle Tageszeitung bei einer Tankstelle kaufen und in den lokalen Nachrichten nach Hinweisen suchen. Zudem können wir auch das Radio nutzen, um Nachrichten zu hören. Einige Fahrgäste erwähnen ebenfalls den ein oder anderen Hinweis. Neben dem Auftanken des Benzinstandes und dem Kauf einer Tageszeitung kann man sein hart erarbeitetes Geld auch für Rubbel-Lose versetzen. Eine nette Spielerei, die euch sogar von Geld sorgen befreien kann oder euch in die Schulden treibt.

Mehr Visual Novel als Spiel

Schade, dass die Lokalisierung nur für Französisch und Englisch gereicht hat. Gerne hätte ich das Spiel auf Deutsch gespielt, zumal man mit dem Schul-Englisch schnell an seine Grenzen kommen könnte. Darüber hinaus neigte ich oft dazu einige Gespräche schnell weg zu klicken, wenn meine Konzentrationsgrenze erreicht war. Dies war so bei zwei Spielstunden am Stück der Fall. Sobald ich mich dabei erwischte, musste ich mich bremsen und die Spielsession beenden, ansonsten wären mir einige spannende Geschichten durch die Lappen gegangen. Bei über 70 unterschiedlichen Fahrgästen ist nicht jede Geschichte spannend, aber viele werden mir dennoch lange in Erinnerung bleiben.

Da ist zum Beispiel ein gescheiterter DJ, der volltrunken ins Taxi steigt. Er ist still, möchte nicht reden, bis wir das Radio einschalten und ein Hit gespielt wird. Dann wird er redselig, erzählt uns, dass er dem gefeiertem DJ aus dem Radio alles beigebracht habe. Er hat, wie auch in dieser Nacht, in kleineren Diskotheken aufgelegt und der Junge trat als 17-jähriger an ihn heran. Er verkaufte damals Drogen und fragte den DJ, ob er auch mal auflegen könnte, daraufhin zeigte er ihm wie es geht. Vor kurzem sei er ihm begegnet und der Junge würdigte ihn keines Blickes. Verbittert verließ der DJ das Taxi in die Nacht hinaus. An anderer Stelle taucht plötzlich eine Zeitreisende in unserem Taxi auf, berichtete von einem nahenden Weltuntergang, einer Seuche die plötzlich ausbrach, was mich sofort an den Film „12 Monkeys“ von 1995 erinnerte. Ich möchte euch nicht zu viel Spoilern, aber auch der ein oder andere Serienkiller hat eine Bewegende Geschichte zu erzählen.

Aktuell hat das Spiel drei Serienkiller zu bieten, wobei sich nur die Vorgehensweise und die mediale Bezeichnung des Killers ändert. Die Ausgangsituation bleibt immer gleich. Nachdem wir dem Angriff des Mörders nur knapp entkommen, erwachen wir aus einem Koma, sitzen vier Wochen später wieder im Taxi und beginnen unsere Jagd nach dem Treffen mit Kommissarin Busset. Eine Kampagne dauert in der Regel nicht länger als vier Stunden, wobei auch beim dritten Durchlauf nicht gesichert ist, dass ihr alle Geschichten der Fahrgäste erlebt habt. Zudem stehen euch immer mehrere Dialog-Optionen zur Verfügung, sodass die Gespräche nicht immer den gleichen Verlauf nehmen. Dennoch werdet ihr die Dialog-Phrasen einiger Charaktere spätestens nach dem dritten Durchlauf erschöpft haben. Darüber hinaus sind uns in der Testversion einige Bugs begegnet, die einen Neustart unumgänglich machten. Da der Titel aber über keine langen Ladezeiten verfügt und nach jedem Fahrgast automatisch der Spielstand gespeichert wird, empfand ich das zwar als nervig aber nicht weiter schlimm.

Fazit

„Night Call“ fällt definitiv in die Kategorie „Nischen-Titel“. Es wird sicherlich nicht alle Spieler ansprechen können, aber Freunde guter Visual Novels sollten unbedingt einen Blick riskieren. Die Rahmenhandlung um einen Serienkiller in Paris gerät einigermaßen in den Hintergrund und man ist weniger Detektiv, sondern viel mehr ein guter Zuhörer, Berater, Freund und Helfer. Die Geschichten der Fahrgäste ziehen einen schnell in ihren Bann, da sie gutgeschrieben sind. Alle Charaktere wirken authentisch und der handgezeichnete Noir-Stil unterstreicht passend die Thematik dieser größtenteils deprimierenden Darstellung von Paris. In Verbindung mit dem Umfang passt das Preis-/Leistungsverhältnis optimal. Für gerade einmal 19,99 Euro erlebt man nicht nur eine Geschichte, sondern mindestens 70 und viele davon werden für unvergesslich, das kann ich euch versprechen. Gute Englisch- oder Französisch-Kenntnisse sind für diesen Titel leider ein Muss.

8 von 10 Punkte